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Arbeitnehmerinteressen und Mitbestimmung

     in einem Europäischen Sozialmodell

     
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Neuerscheinung:
Kollegband "Wirtschaftliche und Soziale Integration in der Europäischen Union. Handlungsräume für korporative Akteure"

Die wirtschaftliche und soziale Integration in der Europäischen Union bietet auch neue Handlungsräume und Herausforderungen für korporative Akteure. Dazu hat das Promotionskolleg im Dezember 2009 eine Konferenz durchgeführt, deren Ergebnisse in diesem Band gesammelt sind.

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Zielsetzung des Promotionskollegs

Die EU-Kommission versucht, eine Abgrenzung gegenüber den anderen wirtschaftlich integrierten Blöcken der Triade (USA, Ostasien) dadurch vorzunehmen, dass sie die Existenz bzw. den weiteren Ausbau eines spezifischen Europäischen Produktions- und Sozialmodells postuliert. Institutionelle und polit-ökonomische Bedingungen, die im weltweiten Vergleich möglicherweise Unterschiede erklären helfen, bleiben in europäischer Perspektive inhaltlich weitgehend unbestimmt bzw. diffus. Die Mitgliedsländer der EU sind, wie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung seit den frühen 1990er Jahren zeigt, in ganz unterschiedlichem Masse Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten und folgen national geprägten Entwicklungspfaden. Dieser Zusammen­hang gilt erst recht nach der sog. Osterweiterung um die Transformationsländer Mittelosteuropas.
Der europäische „Mehrwert“ des postulierten, komplexen Sozialmodells bzw. sein materieller Kern bleiben hingegen ungeklärt. Die deutliche Diskrepanz zwischen der seit den 1990er Jahren rapide fortschreitenden wirtschaftlichen (u.a. Vollendung des Binnenmarktes, Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion) und der weit­gehend stagnierenden sozialen Integration bleibt bestehen trotz der entgegen gesetzten politischen Absichtserklärungen, die seit Delors’ Plänen zur Entwicklung einer „sozialen Dimension des Binnenmarktes“ in den späten 1980er Jahren wiederholt werden. Weiterhin befinden sich die propagierten Pläne zur Entwicklung eines spezifischen Sozialmodells in offensichtlichem Konflikt mit den dominierenden Vorstellungen einer neoliberal geprägten, rein wirtschaftlichen Integration bzw. einer weiter gehenden Deregulierung und Liberalisierung sämtlicher nationaler Rahmen­vorgaben („negative Integration“).
Das Ziel des Promotionskollegs besteht darin, die bisher weitgehend fehlenden inhaltlichen Konkretisierungen eines europäischen Sozialmodells vorzunehmen. Durch die (Weiter-) Entwicklung von Konzepten soll aufgezeigt werden, wie insbesondere Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsinteressen in Zukunft besser umgesetzt bzw. wahr­genommen werden können; dabei handelt es sich vor allem um Mitbestimmungsoptionen in einem breit verstandenen Sinne von Partizipation und nicht nur um den spezifischen Kontext der deutschen Regelungen. In Anbetracht der Vielzahl relevanter Politikfelder ist eine bewusste Auswahl im Sinne einer Beschränkung auf zentrale, zukünftige Problembereiche bzw. einer Konzentration knapper Ressourcen unerlässlich. Diese Vorgehensweise hat notwendigerweise die Ausklammerung anderer Forschungsfragen zur Folge (z.B. Probleme der EBR in den alten Mitgliedsländern, Sozialdialoge auf interprofessioneller Ebene). Die Konkretisierung der zu entwickelnden Vorstellungen erfolgt über miteinander verbundene Einzelprojekte, die sich zu fünf Schwerpunkten ergänzen: Regulierung, Mitbestimmung, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Osterweiterung. - In methodischer Perspektive ist die überwiegende Mehrzahl der Projekte neben den üblichen Literatur- und Sekundärdatenanalysen empirisch ausgerichtet (u.a. qualitativ ausgerichtete Fall- und Sektorstudien) und fundiert anstehende Entscheidungen.
Der Kreis der Antragsteller ist bewusst interdisziplinär zusammengesetzt (Betriebs­wirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Jura, Politikwissenschaft, Soziologie), um der Komplexität der Anforderungen durch arbeitsteilige Kooperation Rechnung tragen zu können. Alle beteiligten Wissenschaftler verfügen über langjährige, einschlägige Erfahrungen in der EU-Forschung.

 

Das „Modell Deutschland“ und der internationale Standortwettbewerb

Längst müssen sich alle Institutionen des deutschen Kapitalismusmodells einer ökonomischen Rechtfertigung unterziehen. Das duale deutsche Arbeitsbeziehungs­system und die Arbeitsmarktregulierungen, das Kollektivvertragssystem und die kollektiven sozialen Sicherungssysteme – als ‚Modell Deutschland’ in die Literatur eingegangen, als ‚Korporativer Kapitalismus’ in der ‚Variaties-of-Capitalism’-Debatte eine wesentliche Alternative zum anglo-amerikanischen ‚Liberalen Kapitalismus’ - werden nicht mehr als Ausdruck einer auf Teilhabe und Mündigkeit basierenden, fortschrittlichen Gesellschaft diskutiert und konnotiert, sondern müssen sich einer ökonomischen Cost-Benefit-Analyse stellen. Nur was diesen Test besteht, hat Bestandsberechtigung, alles andere muss rigoros abgeschafft oder ausschließlich dem Managementprärogativ unterstellt werden.
Diese Ökonomisierung einstmals gesellschaftspolitisch bestimmter Diskurse erfolgt unter dem Druck des internationalen Standortwettbewerbs und der Suche nach institutioneller Anschlussfähigkeit im Zeitalter der Globalisierung – wobei gelegentlich die Behauptung der Singularität des deutschen Modells (und insbesondere der deutschen betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung) dafür herhalten muss, selbst nach positivem Cost-Benefit-Ergebnis (wenn eben nicht nur die Kosten, sondern auch die Erträge institutioneller Arrangements betrachtet werden) dessen Zukunftsfähigkeit zu bestreiten.
Als Schutzmaßnahme gegen die Druckwellen des ‚Globalismus’ (als einseitig neoliberale Interpretation des objektiven Globalisierungsprozesses) wird dann viel Hoffnung auf ein ‚europäisches Sozialmodell’ gesetzt, dass auf supranationaler Ebene jene wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume (auf prozess- wie ordnungspolitischer Ebene) wiederherstellt bzw. bewahrt, die auf nationaler Ebene verloren zu gehen drohen (bzw. schon verloren gegangen sind).
Von besonderer Bedeutung für die Bewertung der Zukunftsfähigkeit des korporativen Kapitalismus auf europäischer Ebene ist dabei die Reflexivität seiner verschiedenen institutionellen Bestandteile: betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung, Kündigungsschutzreglungen, kooperative Tarifverhandlungsakteure und sozial- und wirtschafts- bzw. beschäftigungspolitische Interventionen können eben nicht unabhängig voneinander, partiell und losgelöst betrachtet werden, sondern schaffen in systematischem Zusammenspiel jene Anreizstrukturen und Rahmenbedingungen, die bis in die 1980er Jahre hinein die Resultate garantierten, die die internationale Wertschätzung des ‚Modells Deutschland’ ausmachten: hohe Produktivität und Faktoreinkommen, geringe Arbeitslosigkeit und Inflationsrate, hohe soziale Integration und unternehmerische Partizipation. Obwohl die besonders export-intensive deutsche Volkswirtschaft besonders stark von der weltweiten Öffnung und Verflechtung der Märkte – also der Globalisierung – profitieren müsste (und dies ausweislich des extrem hohen Handelsbilanzüberschusses und der positiven Beschäftigungsentwicklung der international investierenden Unternehmen auch realisiert), wird die im internationalen Vergleich besonders schlechte Arbeitsmarktentwicklung mit den international nicht länger konkurrenzfähigen Institutionen des deutschen Kapitalismus begründet: die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung sei zu teuer und verhandlungs­intensiv, sie behindere schnellere Unternehmensanpassung und ein Corporate Governance, wie internationale Investoren es sich wünschen, und bevorzugen die Einkommenswünsche betrieblicher Insider (Rent-seeking). Die Arbeitsmarkt­regulierungen und soziale Sicherung verhindern einen Beschäftigungsaufbau insbesondere für gering qualifizierte Arbeitnehmer in Segment der Niedrigentlohnung.

 

Die thematische Struktur des Promotionskollegs

Die zwölf Dissertationsprojekte des Kollegs sind thematisch fünf Schwerpunkten zugeordnet: Regulierung, Mitbestimmung, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsmarkt und Beschäftigung sowie Folgen der Osterweiterung.

 

Regulierung

Zwei Projekte bilden die „Klammer“ des Kollegs, indem sie die in den Einzelprojekten behandelten Forschungsfragen in dem gemeinsamen Problem der sozialen Regulierung integrieren:

  1. Zum einen handelt es sich um ein Projekt, welches die Methode der Offenen Koordinierung problematisiert. Die Kommission propagiert seit dem Gipfel von Lissabon im Frühjahr 2000 OMK als neues Verfahren zur Regulierung bzw. zur Ausgestaltung des europäischen Sozialmodells. Dieses in Abgrenzung zu „hard law“-Strategien recht „weiche“ Konzept von Governance soll in verschie­denen Politikfeldern, d.h. nicht nur der Beschäftigungspolitik nach dem Amsterdamer Vertrag sondern auch der sozialen Sicherungssysteme, der Migrationspolitik, der Bildungspolitik etc. Verwendung finden können. Die Frage nach der generellen Eignung dieses Instruments jenseits der europäischen Beschäftigungspolitik, ihrem ersten und bisher prominentesten  Anwendungsfall, ist in empirischer Perspektive ungeklärt und bedarf einer grundlegenden Bearbeitung (Busch).
  2. Zum andern handelt es sich um ein die Evolution eines europäischen „Economic Governance“-Systems, welches das Ziel verfolgt, die infolge der europäischen Integration auf nationaler Ebene eingebüßten oder zumindest reduzierten, ordnungs- und prozesspolitischen Handlungsspielräume auf supranationaler Ebene wiederherzustellen bzw. zu erweitern. Da spezifische Problem dieser Regulierung besteht darin, dass die relevanten Politikfelder (vor allem Währungs- und Geld-, Wirtschafts-, Finanz-, Lohn- und Sozialpolitik) in höchst unterschiedlichem Umfang europäisiert sind (Heise).

 

Mitbestimmung

Die ungewisse Zukunft der Mitbestimmungsregelungen, insbesondere der Unter­nehmensmitbestimmung, wird in unterschiedlicher Perspektive thematisiert:

  1. Ein Projekt thematisiert den Zusammenhang von Macht- bzw. Interessen­verlagerungen zugunsten institutioneller Anleger (wie Hedgefonds, Pensions­fonds) auf Finanzmärkten und deren Einfluss auf Unternehmensentscheidungen in Bezug auf die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen bzw. auf die Institution Mitbestimmung und ihre Träger (Nagel).
  2. Ein weiteres Projekt geht in vergleichender Perspektive den Zukunftsaussichten der Institution Mitbestimmung nach, vor allem ihrer betrieblichen Variante, unter den veränderten Rahmenbedingungen einer stärkeren Orientierung an Maximen des shareholder value und dem neuen Regulierungsmechanismus von corporate governance (Nagel).
  3. Ein drittes Projekt problematisiert die prozeduralen Vorgaben für die „Beteili­gung der Arbeitnehmer“ in den Leitungsgremien der neuen Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft, vor allem die unternehmensspezifisch zu treffenden Regelungen im Sinne monistischer und dualistischer Systeme der Arbeitsbeziehungen bzw. der corporate governance (Keller).

 

Arbeitsbeziehungen

Die Zukunft der Arbeitsbeziehungen auf sektoraler Ebene ist aufgrund der Struktur der nach wie vor rein nationalen Kollektivverhandlungssysteme von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung verläuft zwischen den Polen Dezentralisierung/ Verbetrieblichung und Europäisierung, d.h. einer Verlagerung der dominierenden Regulierungsebene nach „unten“ bzw. nach „oben“. Beiden Trends wird in einzelnen Projekten nachgegangen:

  1. Wie entwickeln sich in empirischer Sicht Kosten und Nutzen der Verbetrieb­lichung? Hierbei ist in international-komparativer Perspektive grundlegend zu unterscheiden zwischen monistischen und dualen Systemen der Arbeits­beziehungen, z.B. Großbritannien und der Bundesrepublik, bzw. zwischen betriebsbezogenen und sektoralen Verhandlungssystemen (Nienhüser).
  2. Die Kommission hat Ende der 1990er Jahre die damals bestehenden sektoralen Sozialdialoge grundlegend restrukturiert, wobei das erklärte Ziel war, das Stadium nicht-verbindlicher Beschlüsse (u.a. Empfehlungen, Stellungnahmen) zu überwinden und den Abschluss von mehr verbindliche Rahmenabkommen zu erreichen. Das Projekt geht der Frage nach, ob die Sozialpartner dieses ehrgeizige Ziel erreichen bzw. wie sich Sozialdialoge, welche die zentralen Regulierungsverfahren darstellen, ohne ein Äquivalent zu nationalen Kollektivverhandlungen zu sein, in den einzelnen Sektoren seitdem entwickeln (Keller).

 

Arbeitsmarkt und Beschäftigung

Die Europäisierung von Arbeitsmärkten und Beschäftigung ist aus Sicht der Gewerk­schaften ein zentrales (Folge-)Problem der fortschreitenden Marktöffnung bzw. Inte­gration und kann zu dem Risiko eines „race to the bottom“ führen. Die Schwierig­keiten werden sowohl aus der (betrieblichen) Mikro- als auch aus der (politischen) Makroperspektive behandelt:

  1. Zum einen geht es in betriebswirtschaftlicher Sicht international-vergleichend um Entwicklungen und Veränderungen der betrieblichen Arbeitskräftestrategien bzw. der Regulierungsverfahren. Die Untersuchung erfolgt am Beispiel der Bauindustrie, die durch die Veränderung der Kontextbedingungen, d.h. die Öffnung der Arbeitsmärkte, in besonderem Masse betroffen ist (Nienhüser).
  2. Zum andern steht in volkswirtschaftlicher Sicht die Frage nach Alternativen zur derzeitigen institutionellen Ausgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Mittelpunkt. Die zentrale Frage ist die nach einer Veränderung der Abstim­mungs- und Koordinationsverfahren zwischen Politikfeldern, die in unterschiedlichem Masse integriert sind (vor allem Geld-, Finanz- und Lohnpolitik). Das Ziel der Reform besteht in der Aufgabe der einseitigen Orientierung an Preisniveaustabilität und einer stärkeren Orientierung an der Wachstums- und Beschäftigungsperformanz der Mitgliedsländer im Rahmen eines alternativen Policy mix zur makroökonomischen Governance (Heise).

 

Folgen der Osterweiterung

Die sog. Osterweiterung der EU um die Transformationsländer Mittelosteuropas stellt die Arbeitnehmervertretungen als korporative Akteure der betrieblichen wie überbetrieblich-sektoralen Ebene vor erhebliche neuartige Probleme:

  1. Diese Schwierigkeiten beziehen sich auf betriebliche Mitbestimmung und sek­torale Tarifpolitik. Sie betreffen zum einen die Entwicklungspfade der betrieblichen, sektoralen und nationalen Ebenen in den neuen Mitgliedsländern, wobei monistische (u.a. Polen) und duale Systeme (u.a. Ungarn) zu vergleichen sind. Zum anderen betreffen die Probleme die organisatorische Integration der Gewerkschaften der MOE-Staaten in die Willensbildung bzw. Interessenpolitik und –abstimmung der Gewerkschaftsverbände auf EU-Ebene (EBR in MNU, Sozialdialoge auf sektoraler und interprofessioneller Ebene) (Platzer).

Die Folgen von Direktinvestitionen in den MOE-Staaten stehen im Mittelpunkt (u.a. Mitbestimmungsträger und -organe, Entwicklung von Beschäftigung und Wachstum, internationaler Standortwettbewerb). Empirisch ungeklärt ist die Frage, ob sich die Erkenntnisse über Motive, Ziele und Folgen von Direktinvestitionen auf die bisher vernachlässigten MOE-Länder übertragen lassen. Analysiert werden soll auf der Basis von Fallstudien sowohl Industrie- als auch Dienstleistungssektoren (Busch).

 

 

   
Stand: 12.02.2009